Unter den zahlreichen Yokai sticht die Warai Onna (笑い女) ein wenig hervor. Während viele dieser Wesen der japanischen Mythologie die Gestalt eines Tieres haben, oder oftmals neben der menschenähnlichen Statur, tierische Aspekte aufweisen, hat die Darstellung dieses Yokai so gar nichts mit Tieren zu tun.
Außerdem unterscheidet sich dieser Yokai von zahlreichen bekannteren Vertretern, wie dem Tanuki oder dem Kappa dadurch, dass die Warai Onna eher weniger als ein vielschichtiger Charakter oder Trickster beschrieben ist. Viele Wesen der japanischen Mythologie haben mehrschichtige Persönlichkeiten und sind nicht direkt als gut oder böse zu beschreiben. Auch nutzen diese ihre Wandlungsfähigkeit oftmals, um die Gestalt eines Menschen anzunehmen, ohne dabei unbedingt jemandem Schaden zufügen zu wollen.
Die Warai Onna erinnert in ihrer Darstellung vor allem an einen Geist und eine Begegnung mit ihr endet für viele Menschen tödlich.

Die lachende Frau aus den Bergwäldern – wir lachen uns tot
Warai Onna ist ein Yokai, welcher laut Erzählungen in den zahlreichen Bergwäldern von Japan beheimatet ist. Dieses Wesen wird oftmals als eine junge Frau beschrieben, welche das zwanzigste Lebensjahr noch nicht erreicht hat. Allerdings gibt es auch Geschichten darüber, dass dieser Yokai die Gestalt einer freundlich anmutenden älteren Geisha annimmt, um das Vertrauen der arglosen Wanderer zu erlangen.
Warai Onna bedeutet übersetzt lachende Frau und genau diese Eigenschaft des Lachens ist es, was die Menschen oftmals anlockt und am Ende gar töten können soll. Die Warai Onna wird oftmals zuerst gar nicht von den Menschen gesehen, sondern diese vernehmen nur das laut hallende, glücklich klingende Lachen einer Frau, wie es durch den Wald schallt. Dieses Lachen ist, so sagt man, so ansteckend, dass die meisten Menschen ebenfalls sofort anfangen zu lachen.
Auch wenn man natürlich sagt, dass Lachen gesund ist, soll es hier in eine ganz andere Richtung gehen. Denn die Opfer der Warai Onna können gar nicht mehr aufhören zu lachen. Man beginnt so stark zu lachen, dass man keine Luft mehr bekommt und somit ohnmächtig wird. Auf diesen Schock, so sagt man, soll man eine heftige Fieberattacke bekommen, worauf die meisten Menschen nach wenigen Tagen sterben, sollte das Fieber nicht entsprechend behandelt werden.
Aber auch wenn man diesen Angriff des Yokai überlebt hat, soll man bis zu seinem Tode von dem Lachen der Warai Onna verfolgt werden.
Warai Onna in den alten Texten
Die Warai Onna erscheint unter anderem als Figur im Sammelwerk Bakemono ehon (化物絵本; „Bilderbuch der Monster“) von Tosa Mitsunobu aus dem Jahr 1517. Eine ähnliche Erwähnung findet dieser Yokai in einer Erzählung von Tosa. Und zwar in seinem Werk Nanroshi (南路志; „Eine Topografie des Südens“) aus dem Jahr 1522. Dort allerdings erscheint eine Art männliches Pendant namens Warai-otoko (笑い男; „Lachender Mann“). Die Legenden um die Warai Onna erfreuten sich bis ins 18. Jahrhundert einiger Bekanntheit, bis sie von der Sagengestalt der Kera Kera Onna abgelöst wurden. In ländlichen Gegenden soll sie aber bis heute gefürchtet sein.
Kera Kera Onna – die moderne Warai Onna?
Kera Kera Onna ist als Yokai heutzutage bekannter als die Warai Onna und hat vor allem in den Köpfen der Stadtmenschen dieselbe abgelöst. Kera Kera Onna wird als eine wunderschöne Frau mit langen Haaren beschrieben, welche jedoch einen auffällig großen Mund haben soll, welcher sich bis zu den Ohren erstreckt. Wie der Name es schon beschreibt, soll das Lachen der Kera Kera Onna wie Kera Kera klingen und somit Menschen, welche es vernehmen, entweder erschrecken oder gar in den Wahnsinn treiben.
Die Kera Kera Onna wird darüber aus ein besonders großes Wesen beschrieben, dessen Körper je nach Erzählung bis in den Himmel reichen soll. Es gibt verschiedene Theorien über den Ursprung der Kera Kera Onna. Einige sagen, dass es sich bei ihr um die Seele einer Frau handelt, welche aufgrund ihres unglücklichen Lebens Selbstmord begangen hat. Andere Geschichten erzählen, dass es sich bei diesem Wesen um einen Dämon handelt, welcher sich an den Menschen rächen will.
Viele Geschichten wurden schon über die Kera Kera Onna erzählt, doch die meisten von ihnen enden nicht gut für die, welche ihr begegnen. Wie ein typischer Yokai, hat auch Kera Kera Onna verschiedene übernatürliche Fähigkeiten. Sie kann unter anderem ihre eigene Gestalt verändern, oder sich sogar unsichtbar machen, um ihre Opfer zu täuschen. Auch soll sie in der Lage sein, die Erinnerung von Menschen zu manipulieren.
Worüber man sich allerdings einig ist, ist der Fakt, dass Kera Kera Onna ein Wesen ist, welches schwer zu vertreiben oder gar zu besiegen ist. Demzufolge ist es besser, ihr grundlegend aus dem Weg zu gehen – sollte es nicht schon zu spät sein.

Erzählungen über Warai Onna
Über den Yokai Warai Onna, gibt es, wie auch überall bei den anderen Wesen der japanischen Mythologie, zahlreiche Geschichten, welche sich die Menschen schon seit sehr langer Zeit erzählen. Die Geschichten dieses Yokai sind in zahlreichen Regionen Japans zu finden und haben sich von den höchsten Bergen bis zu den Schreinen in Kyoto abgespielt.
Die Geschichte vom Samurai Higuchi Kandayū
Dieser Samurai ignorierte die Warnungen der Dorfbewohner und ging an einem verbotenen Tag in den Bergen jagen. Dort begegnete er einer Warai Onna, die ihn und seine Gefolgsleute zum Lachen brachte. Obwohl er ihr entkam, blieb ihr Lachen in seinen Ohren bis zu seinem Tod.
Warai Onna am Kiyomizudera Tempel
Der berühmte Kiyomizudera Tempel in Kyoto soll von einer Warai Onna heimgesucht werden, welche sich als Geisha darstellt und Besucher direkt anspricht. Wer ihr antwortet, wird von ihrem Lachen angesteckt und stürzt sich von der Klippe.
Das Dork Oyama und der Yokai
In diesem Dorf in der Präfektur Kanagawa soll eine Warai Onna leben, welche sich als junge Frau ausgibt und Männer verführt. Wer mit ihr schläft, wird am nächsten Morgen tot aufgefunden, und zwar mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Die Warai Onna von Kochi
In der Präfektur Kochi soll es eine Warai Onna geben, welche sich als eine alte Frau ausgibt und Reisende um Hilfe bittet. Wer ihr hilft, wird von ihr umarmt und geküsst, worauf er vor Lachen stirbt.
Warai Onna als Yokai im heutigen Japan
Im heutigen Japan gilt die Warai Onna vor allem als ein Symbol für Schrecken und Gefahren der Natur. Auch repräsentiert dieser Yokai die grausame und unberechenbare Seite von Japans Bergen. Auch wenn die Berge von den Menschen in Japan primär als etwas Wundervolles und zugleich Heiliges beschrieben werden, ist den Menschen jedoch zugleich Ihre natürliche Kraft bewusst.
Auch steht die Warai Onna für die Kraft des Lachens, welches nicht nur Freude, sondern auch Wahnsinn repräsentieren kann. Die Warai Onna gilt als Yokai somit als eine ambivalente Figur, welche zu gleichen Teilen Faszination, aber auch Abscheu hervorruft.
Lachen ist gesund, aber Extreme sind nie gut
Die Warai Onna unterscheidet sich doch schon sehr von anderen Yokai wie dem beliebten Tanuki, dem Kappa, dem Kitsune, oder auch dem Tengu. Bei aller Faszination für dieses Wesen sprechen die Menschen ihr vor allem bösartige Eigenschaften zu, was sie zumeist zu einem relativ einseitigen Yokai macht.
Dieser Punkt zeigt aber auch, dass es selbst unter den Yokai zahlreiche verschiedene Formen zu entdecken gibt, was sie am Ende auf eine mehr oder weniger erschreckende Weise menschlich wirken lässt. Hoffen wir mal, dass niemand in nächster Zeit bei einer Wanderung in Japans Bergen das Lachen einer Warai Onna vernehmen muss.
Weitere Erzählungen zu Yokai auf unserem Blog:
- Japanische Yokai – der Tengu
- Japanische Yokai – der Tanuki
- Japanische Yokai – der Kappa
- Japanische Yokai – Kitsune