Als im Jahr 2019 große Teile der Burg Shuri-Jo, darunter die als Seiden bekannte Haupthalle, in Flammen stand, war das für viele Menschen in Japan, aber besonders für die Bewohner der Präfektur Okinawa ein großer Schock. Susann verglich das Ereignis mit dem Brand im Notre-Dame im Jahr 2019, da ihr die Bedeutsamkeit dieses Gebäudes bekannt war.
Für die Menschen in Okinawa steht Shuri-Jo nicht nur als ein Zeichen des alten Ryukyu Königreichs, sondern vor allem für die Identität, die Kultur und die Geschichte der Menschen in der südlichsten Präfektur des Landes. Die farbenfrohe Burg stand im Mittelpunkt des Ryukyu Inselkönigreichs und war Knotenpunkt für die zahlreichen internationalen Beziehungen nach Japan, China und Korea, welche das Königreich in seiner Blütezeit pflegte.


Das Ryukyu Königreich als Zentrum internationaler Beziehungen
Man geht heute davon aus, dass die Menschen aus den Anfängen des Ryukyu Königreichs vor allem Siedler waren, welche sich aus den nördlichen Teilen Japans und aber auch aus Taiwan zusammen auf die abgelegenen Inseln verteilten. Daher vermutet man, dass die ersten Bewohner des eigentlichen Königreichs aus einer Vermischung dieser beiden Nationen hervorgegangen sind.
Bis zum 14. Jahrhundert waren die Inseln der heutigen Präfektur Okinawa unter der Herrschaft von zahlreichen unterschiedlichen kleinen Gruppierungen, welche im Allgemeinen unter drei Königreiche aufgeteilt wurden: Hokuzan (auch als Sanhoku bekannt) im Norden von Okinawa, das Ryukyu Königreich Chuzan im Zentrum und Nanzan (auch unter dem Namen Sannan bekannt) im Süden. Diese waren als die drei Königreiche („Sanzan“) bekannt.
Von diesen drei Königreichen war das Königreich Chuzan im Zentrum das wirtschaftlich mächtigste und hatte seinen Regierungssitz in der Stadt Urasoe. Schon in frühen Jahren pflegte Chuzan eine enge Beziehung zu seinem chinesischen Nachbarn. Die Lage des Hafens von Naha in der Nähe der Shuri-Jo Burg war optimal für einen wirtschaftlichen aber auch kulturellen Austausch. Regelmäßig kam es dabei zu Angriffen von mongolischen Kriegern, welche jedoch immer wieder von den Inseln zurückgedrängt werden konnten.
In den Jahren von 1416 bis 1429 übernahm das Chuzan Königreich die benachbarten Königreiche Hokuzan und Nanzan und vereinigte somit Okinawa unter der Flagge des Ryukyu Königreichs. Das Zentrum der Macht wurde in die Burg Shuri-Jo in der Nähe der heutigen Hauptstadt von Okinawa, nach Naha, verlegt. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte sich das Ryukyu Königreich zu einer wirklichen Handelsmacht.
Mit der Verlegung der königlichen Hauptstadt wurde der Hafen von Naha zu einem Zentrum des Handels mit Japan, China und Südostasien und begünstigte damit die wirtschaftliche Entwicklung. Auf der Bankoku Shinryo no Kane („Glocke der Brücke zwischen allen Nationen der Welt“), die vor der Seiden Haupthalle der Burg Shuri-Jo hängt, ist folgende Inschrift eingraviert: „Ryukyu liegt in einer gesegneten Region in der Südsee … auf Schiffen segelnd und als Brücke zwischen allen Nationen dienend, ist das Land voller Schätze.“


Das tragische lange Ende von Ryukyu
Etwa 150 Jahre lang blühte das Königreich auf, doch gegen Ende des 15. Jahrhunderts geriet es allmählich in Verfall. Dies wird auf die Verschlechterung der Beziehungen zu China und die Bedrohung durch immer stärkere japanische Seeräuber zurückgeführt. Als sich das Ryukyu Königreich weigerte, sich gemeinsam mit Japan gegen einen Krieg mit China zu stellen, fiel das Königreich endgültig in Ungnade und der Shogun ordnete die Eroberung an. Lange Zeit verblieben die Inseln in einer Art Vasallenstatus unter der Kontrolle des Satsuma Clans.
Japan nutzte die Region wie auch später im Zweiten Weltkrieg als eine Art militärische Pufferzone zu den benachbarten Staaten und gleichzeitig zum Anbau von Rohzucker unter schwersten Bedingungen, um diesen nach ganz Japan zu verschiffen. Die Besatzung wurde in einigen Regionen dahin gehend erklärt, dass der Satsuma Clan gekommen sei, um die Menschen von den böswilligen Herrschern der Burg Shuri-Jo zu befreien.
Aufgrund dessen, dass es der Bevölkerung nicht erlaubt war, Waffen zu besitzen, entwickelten die Menschen im Geheimen gemeinsam mit ihren chinesischen Nachbarn die Kunst des Karate. Anders als heutzutage wurde damals ganz und gar nicht ohne Waffen gekämpft, sondern die Menschen benutzen oftmals Werkzeuge, welche sie sonst für die Arbeit auf den Feldern verwendeten.
Durch die Monopolisierung des Außenhandels und der Binnenwirtschaft erlangte der Satsuma Clan enormen Reichtum im Königreich Ryukyu. Dadurch spielte er eine wichtige Rolle beim Sturz und der Abschaffung des Tokugawa Clans und bei der Einführung des heutigen Präfekturen-Systems.
Das Rukyu Königreich wurde von Japan, gegen den Willen des Königs und seines Volkes, erobert und unterworfen. Als ausländische Nation musste die dortige Bevölkerung an Japan angegliedert werden. Das Volk der Ryukyu hatte eine andere Geschichte, Kultur und Sprache als die Japaner. Daher wurde es im Rahmen von Angleichungs-Programmen japanisiert durch politische, wirtschaftliche, erzieherische und religiöse Integration.
Die Meiji-Regierung löste das Königreich Ryukyu einseitig auf und richtete die Präfekturregierung von Okinawa in Naha ein. Die Burg Shuri-Jo in der alten Hauptstadt wurde geräumt, denn der König Sho Tai und seine Minister wurden nach Tokyo gebracht. Der Name „Okinawa“ musste von allen verwendet werden, um den alten Namen „Ryukyu“ abzulösen.
Den Menschen der Okinawa Inseln wurde nur ein Mindestmaß an Bildung zugestanden. Sie mussten Japanisch sprechen, lesen und schreiben können, doch durften keine Universitäten besuchen. Die Einwohner sollten primär die Befehle der neuen japanischen Regierung ausführen. Schulkindern und der breiten Öffentlichkeit wurde ultranationalistischer Patriotismus beigebracht, sodass sie sich jederzeit und an jedem Ort bereitwillig opfern sollten. Die Menschen wurden demzufolge auch einer Art Gehirnwäsche unterzogen, um sich selbst zu verleugnen, indem sie ihre Muttersprache und ihr eigenes Leben für das kaiserliche Japan aufgaben.
Auch die Religion der Ryukyu wurde ausgelöscht und der Glaube der Shinto Religion unter Zwang in die Präfektur Okinawa gebracht. Heilige Stätten alter Ryukyu Religionen, genannt Utaki, wurden zerstört und an ihrer Stelle wurden Schreine und Torii erbaut. Selbst auf den kleinsten Inseln in der Präfektur können heute die zu dieser Zeit errichteten Torii entdeckt werden.


Okinawa heute und die noch immer lebendige Ryukyu Kultur
Auch wenn die Geschichte des alten Königreichs besonders zu seinem Ende grausam klingt, bietet Okinawa heute einen besonderen und wichtigen Aspekt des vielseitigen Japans. Grenzen haben sich in der Geschichte der Menschheit immer wieder verschoben und Nationen wurden dabei ausgelöscht oder unterdrückt. Das kann die Ereignisse der Vergangenheit selbstverständlich nicht entschuldigen. Es zeigt allerdings auch an einem wichtigen Beispiel auf, was alles bereits passiert ist, bis die Welt zu dem wurde, wie wir sie heute kennen.
Die Menschen in Okinawa sind auf den ersten Blick zunächst nicht so viel anders als die Menschen in anderen Teilen des Landes. Dennoch haben sie es geschafft, große Teile der Ryukyu Kultur wiederzubeleben und die Geschichte des alten Königreichs ist ein wichtiger Bestandteil des heutigen Lebens, egal ob man dort wohnt oder hinreist.
Verschiedene Künste wie der Eisa-Tanz oder das Kumi-Odori Theater gelangten mit der Zeit zu neuem Ruhm und ziehen heutzutage zahlreiche Besucher an. Auch wenn die Erzählungen manchmal bittersüß sind, ist es doch nicht Verbitterung, die in Okinawa herrscht und Theaterformen wie das Kumi-Odori oder die Burg Shuri-Jo gehören zum wichtigen kulturellen Erbe Japans.
Wenn ihr mehr über Kumi-Odori und andere japanische Theaterkünste erfahren wollt, werft doch mal einen Blick auf unseren Artikel zum Thema Dentou-Geino – das traditionelle Theater in Japan.
Die Burg Shuri-Jo – das Zentrum der Kultur in Okinawa
Die Burg Shuri-Jo liegt inmitten des Shuri-jo Koen Parks. Wer diesen betritt, kann einen entspannten Rundgang um die eigentliche Burganlage durch viele verschiedene Tore hindurch machen und sich somit ein wenig auf die Straßen des alten Ryukyu Königreichs begeben. Ein großer Teil des Parks ist auch komplett frei zugänglich. Auf dem Rundgang steigt man viele Stufen hinauf und hinab und durchschreitet zahlreiche verschiedene Tore mit einer jeweils eigenen Bedeutung und kleinen Geschichte. Hier befindet sich auch die Bankoku Shinryo no Kane, die oben genannte Glocke, welche als Symbol für die Brücke zu allen Nationen der Welt galt.
Überall auf der Anlage weisen einem freundlichen Menschen in traditioneller Ryukyu Kleidung den Weg und man hat sogar die Chance, sich selbst traditionell einzukleiden, inklusive eines Hanagasa Hutes. Erinnerungswürdige Fotos sind somit nicht weit.
Ein schönes Erlebnis hatte ich persönlich, als wir in der Nähe des Hauptkomplexes zu einer alten Sonnenuhr gingen. Hier bekam man nicht nur einen Bastelbogen, um sich eine alte Ryukyu Sonnenuhr selbst zu basteln. Eine der Damen, welche dort als Guide arbeitete, erkannte unsere Morning Musume Taschen sofort anhand ihrer Farben und teilte uns ihre eigene Liebe für Morning Musume mit. Als Hello Project Fan hat man es in Japan nicht so einfach, auf Gleichgesinnte zu treffen.
In der weitläufigen Parkanlage werden außerdem regelmäßig verschiedene Feste veranstaltet, wo es nicht nur Leckeres zu essen gibt, sondern oftmals auch live Musik. Bei unserem Besuch war es die Musikerin Nacil, auf Japanisch Nashiru geschrieben, welche die Menschen mit ihren persönlichen Geschichten zur Burg Shuri-Jo, ihrer Großmutter und Melon Soda begeisterte.
Im Zentrum auf einem Hügel befindet sich dann hinter den gewundenen Mauern die eigentliche Anlage der Shuri-Jo Burg. Diese lässt sich im Wesentlichen in einen inneren und einen äußeren Burghof unterteilen. Der innere Bereich wurde im frühen 15. Jahrhundert fertiggestellt, der äußere Bereich in der Mitte des 16. Jahrhunderts.
Das Hauptgebäude Seiden und die anderen Gebäude innerhalb Shuri-Jos sind entlang der Ost-West-Achse angelegt, wobei die Front nach Westen ausgerichtet ist. Diese Westausrichtung der Gebäude ist charakteristisch für die Burg Shuri-Jo. Aufgrund des umfangreichen historischen Austauschs mit China und Japan finden sich in der Burg Shuri-Jo zahlreiche Elemente, die die architektonische Kultur Chinas und Japans parallel widerspiegeln. Vor allem der Seiden und der Hokuden sind in dieser Hinsicht besonders hervorzuheben.
Shuri-Jo fungierte als der königliche Regierungssitz. Die Burg bildete auch den Kern aller religiösen Strukturen, die für die Rituale und Zeremonien des Königreichs zuständig waren, welche von den Priesterinnen durchgeführt wurden, die an verschiedenen Orten des Landes tätig waren. Überdies entwickelte sich auf der Burg Shuri-Jo und in ihrer Umgebung eine rege Kunst- und Musikszene, in der viele Experten auf dem Gebiet der Künste und des Kunsthandwerks ihr Können unter Beweis stellten und verfeinerten. Die Burg Shuri-Jo war somit auch das Zentrum der kulturellen Künste des Königreichs.
Hinter dem Hauptgebäude befanden sich ursprünglich außerdem die privaten Räumlichkeiten der Königsfamilie. Hier lebte nicht nur das Königshaus in seinen privaten Gemächern, sondern es wurden auch zuweilen politische Gäste empfangen. Dennoch war es Männern, die nicht Teil der königlichen Familie waren, strengstens untersagt, diesen Teil der Burg zu betreten.


Die Rekonstruktion der Burg
Bevor die Burg im Jahr 2019 dem Feuer zum Opfer gefallen ist, wurde sie im Zweiten Weltkrieg bereits komplett zerstört. Nach dem Krieg wurde an diesem Ort die Ryukyu Universität eröffnet und erst viele Jahre später wurde, nachdem die Universität verlegt wurde, an diesem Ort mit der Rekonstruktion der Burg begonnen.
Der aktuelle Plan sieht vor, dass die Burg im Jahr 2026 wieder weitgehend neu aufgebaut ist. Dazu wird nun, nachdem man die Überreste beseitigt hat, ein großes provisorisches Dach über der Anlage gebaut, sodass unabhängig von Wetterbedingungen und Jahreszeiten gearbeitet werden kann. Die einzelnen Elemente werden anhand von Originalplänen und Materialien neu hergestellt und nach und nach werden das Hauptgebäude und die anderen dem Feuer zum Opfer gefallenen Gebäude von Grund auf neu errichtet.
Auch wenn viele der beeindruckenden Gebäude aktuell natürlich nicht zu sehen sind, lohnt sich ein Besuch der Anlage und auch der Kauf eines Tickets. Nicht nur unterstützt man hiermit den Wiederaufbau, man bekommt auch einen spannenden Einblick in die von mehrfachen Zerstörungen und Neuerrichtungen geprägte Geschichte der Burg. Zudem erfährt man viel über die aufwendige Rekonstruktion und kann den Menschen bei ihrer bedeutsamen Arbeit zusehen. Sobald das provisorische Dach errichtet ist, soll es auch möglich sein, bei einem Besuch selbst hineinzugehen, um dort direkt zu erleben, wie die aufwändigen Gebäude und anderen historischen Strukturen nach und nach zu neuem Leben erweckt werden.


Geschichte und Kultur erleben in Okinawa
Dieser Artikel befasste sich bewusst zu einem Großteil mit dem Ryukyu Königreich, für welches die Burg zentral steht. Es ist ein Ort, den die Menschen immer wieder aufsuchen, um an ihre Vorfahren und ihre Kultur zu denken. Hier wird die Geschichte der Ryukyu lebendig, selbst wenn große Teile der Anlage aktuell zerstört sind. Ich kann nur jedem empfehlen, bei einem Besuch Okinawas die Burg aufzusuchen, um vor Ort zu erfahren, was diese Burg für die Menschen in Okinawa bedeutet. Mehr zum Thema Okinawa findet ihr in unserem Artikel Okinawa: Japans traumhaftes Inselparadies. Viele spannende Informationen zur Burg Shuri-Jo gibt es zudem auf der offiziellen Webseite der Burg.