Nara, ein Trip zu den Rehen und dem weltweit größten Holzgebäude

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Die Stadt Nara, eine der ehemaligen Hauptstädte von Japan, war kurz vor unserer mehrtägigen Wanderung entlang des Kumano Kodo in Wakayama ein Ziel, welches wir unbedingt besuchen wollten. Wir hatten eine Unterkunft in Osaka gebucht, sodass wir den folgenden Tag nicht mehr so lange bis nach Tanabe fahren mussten. Auch nutzten wir die Chance, um uns mit unserer Freundin Eriko aus Osaka zu treffen, um den Tagestrip nach Nara gemeinsam anzutreten.

Die alte Hauptstadt von Japan

Wenn man über Japan und eine ehemalige Hauptstadt spricht, wird vor allem über Kyoto gesprochen – die Stadt, welche noch heute als die kulturelle Hauptstadt von Japan bezeichnet wird. Allerdings war Kyoto lange nicht die einzige Hauptstadt, bevor diese nach Tokyo, ehemals Edo verlegt wurde.

Genau gesagt wurde im achten Jahrhundert die kaiserliche Hauptstadt nach Nara verlegt. Allerdings blieb dieser Zustand für nur 74 Jahre bestehen, bevor die Hauptstadt erneut verlegt wurde. Man kann schon fast sagen, dass der kaiserliche Hauptsitz des Landes sich so viel bewegt hat wie die tektonischen Platten unter Japan.

Im Gegensatz zu den meisten anderen ehemaligen Hauptstäden, zu denen unter anderem Nagaokakyo, Asuka oder Kamo gehören, ist der Name Nara als alte Hauptstadt noch immer in den Köpfen der Menschen in Japan geblieben. Dies hat so einige Gründe. Einerseits ist es die beeindruckende Architektur einiger historischer Gebäude, die man hier noch heute vorfinden kann. Ferner hat die nachhaltige Industrie der Stadt, die sich vorrangig auf den Tourismus und die Textilindustrie stützt, bis heute ihre Spuren in Nara hinterlassen und blickt auf eine Geschichte von über 1300 Jahren zurück.

Allerdings wollen wir hier bloß nicht die berühmten Hirsche von Nara vergessen. Nun werden vielleicht einige so etwas sagen wie: Moment, sind das nicht Rehe? Es ist in der Tat so, dass die im Japanischen als Shika (鹿) bezeichneten Tiere zur Gattung der Hirsche gehören. Im Deutschen werden sie auch als Sika Hirsch bezeichnet. Dennoch glaube ich, da sie aufgrund ihrer geringeren Größe sehr an ein Reh erinnern, ist es okay, wenn man sie so nennt.

In der japanischen Sprache kann es darüber hinaus auch manchmal ein wenig verwirrend sein, da ein Name manchmal für zwei verschiedene Tierarten stehen kann. Als Beispiel sei hier einmal Wani (ワニ) genannt, was gleichzeitig für Krokodil und Alligator stehen kann.

Hisashiburi – oder lange nicht gesehen in Osaka-ben

Susann und ich sind relativ früh von Tokyo mit dem Zug nach Nara gefahren, wo wir uns mit Eriko treffen wollten. Natürlich waren wir, wie es oftmals der Fall ist, zu früh da und mussten uns auch erst einmal ein wenig am Bahnhof orientieren. Der Bahnhof von Nara ist nicht übermäßig groß, aber wenn man zum ersten Mal dort ist und nicht weiß, wo man sich trifft, kann man leicht ein wenig verwirrt sein.

Wir mussten allerdings auch nicht lange warten, denn während wir mit unserem Gepäck nebeneinander standen, spürten wir mit einem Mal einen kräftigen Schlag auf den Nacken, der uns zusammenzucken ließ. Ruckartig drehten wir uns um und erkannten schnell, dass es Eriko war, die uns scheinbar in Osaka-Manier direkt sagen wollte: Schön, dass ihr da seid! Wir lachten, umarmten uns und machten uns sogleich auf den Weg in die Stadt selbst.

Man merkt schnell, wie anders Osaka im Vergleich zu Tokyo ist. Ich will hier nicht sagen, dass es besser oder schlechter ist. Jedoch sind die meisten Menschen in Osaka offener und auch ein wenig forscher in ihrer Ausdrucksweise. Der Dialekt, der in Osaka gesprochen wird, wird auch als Synonym für die Region Kansai verwendet und nennt sich Kansai-ben (関西弁) oder Osaka-ben (大阪弁).

Allerdings werden die Dialekte aus der Region Osaka, sowie Kyoto auch als Kamigata kotoba (上方言葉) oder Kamigata-go (上方語) bezeichnet. Diese Art zu sprechen, geht auf die Edo Zeit zurück und klingt für viele andere Menschen aus Japan ein wenig melodischer, aber zugleich auch ein wenig schroffer. Mein Lehrer in der Sprachschule sagte uns diesbezüglich, dass die Menschen in Tokyo Japanisch sprechen und die Menschen in Osaka einfach etwas anderes. Dazu sei auch gesagt, dass mein Lehrer selbst aus Osaka stammte.

Natürlich waren es die Rehe, auf die wir uns freuten, doch zuvor mussten wir noch einige Zeit entlang der Straßen der alten Hauptstadt entlang laufen.

Entlang der Hauptstraße und frisch geschlagene Mochi

Wir waren recht früh angekommen, von daher konnte man aufgrund des Wochenendes schon merken, dass wir nicht die einzigen waren, welche heute Nara erkunden wollten, aber es hielt sich zu Beginn in Grenzen, was die Menschenmengen anging. Vorbei an einigen Hotels und Wohnhäusern, war es dann ein kleiner Laden, aus dem man laute Ho ho Rufe hören konnte, der unsere Aufmerksamkeit auf sich zog. Vor diesem Laden hatte sich bereits eine Traube von Menschen gebildet und als wir ein wenig näher herantreten konnten, sahen wir auch, was sich hier abspielte.

Es wurden frische Mochi zubereitet, wobei die klebrige Masse aus Reisteig immer wieder im Wechsel von zwei kräftigen Japanern bearbeitet wurde. Wir entschlossen uns, gemeinsam mit Eriko, gleich welche zu kaufen. Die Mochi wurden hier wirklich frisch zubereitet und dann nach und nach an die anstehende Kundschaft weitergegeben.

Susann ist eigentlich kein großer Fan von Mochi. Sie beschreibt das immer so, dass sie das Gefühl hat, als würde der Mochi in ihrem Mund immer größer werden und das mag sie gar nicht. Dennoch war sie vom frischen Geschmack begeistert und noch jetzt nach einigen Jahren in Japan, sagt sie noch immer, wie gut die frischen Mochi in Nara doch waren. Hautnah zu erleben, wie diese mit viel Ausdauer und Muskelkraft zubereitet werden, tut dann natürlich sein Übriges.

Der beeindruckende Todaiji-Tempel

Schließlich erreichten wir den nördlichen Bereich des Nara Parks. Hier befinden sich neben einigen Torii und anderen Zeugen der historischen Bedeutsamkeit von Nara auch das weltweit größte Holzgebäude, der beeindruckende Todaiji-Tempel. Dabei besteht der Todaiji-Tempel selbst gar nicht nur aus der großen Buddha-Halle, die oftmals auf Fotos das Synonym für den Tempel ist.

Neben der großen Halle gehören hierzu z. B. auch der Glockenturm, dessen Glocke mehr als 26 Tonnen wiegt. Diese wurde zwischen 1207 und 1210 gebaut und besteht aus verschiedenen Designelementen des Zen sowie des Daibutsu Stils.

Das große Tor im Süden, welches den Haupteingang zum Tempel markiert, geht auf die Nara Zeit zurück. Allerdings ist das Original-Tor bei einem Taifun zerstört worden, wobei die heutige Struktur dann in der Kamakura-Zeit erbaut wurde. Noch heute ist dieses Tor der größte Tempeleingang von ganz Japan.

Das älteste Gebäude auf dem Gelände des Todaiji-Tempels ist das Hokke-do. Dieses Gebäude wurde in den 740er Jahren gebaut. Früher als Kensaku-do bezeichnet, änderte sich der Name aufgrund dessen, dass innerhalb des Gebäudes im dritten Monat des Jahres die Hokke-e, die Zeremonie des Lotus Sutra abgehalten wurde. Noch heute befinden sich im Innern des Gebäudes zehn Statuen, die sich um eine zentrale Statue der Gottheit Kannon versammeln.

Weitere erwähnenswerte Gebäude, die ein Teil des Todai-ji sind, sind das Nigatsu-do, was die Halle des zweiten Monats bedeutet, das Kaidan-in, welches unter anderem als Unterkunft für die Priester dient, und das Tegai-mon Tor. Dieses wird auch manchmal als Kagegiko Tor bezeichnet. Dies geht auf eine Legende zurück, in welcher ein Krieger des Taira Clan sich innerhalb des Tores versteckt hatte, um den damaligen Shogun Minamoto no Yorimoto zu töten. Etwas nördlich von der großen Buddha-Halle kann man außerdem die Überreste des alten Hörsaales des Todai-ji finden.

Dennoch ist klar, dass das beeindruckendste Monument hier die große Buddha-Halle ist. Nachdem Eriko für uns die Tickets gekauft hatte, sind wir entlang des breiten Weges vorbei an farbenfrohen Bannern in Richtung der Halle gegangen. Je näher man kommt, desto mehr ist man von der Größe dieses Gebäudes beeindruckt. Wenn man darüber hinaus noch bedenkt, dass dieses Gebäude vollständig aus Holz gebaut ist und in keinster Weise filigran wirkt, wird der Respekt für die damalige Handwerkskunst noch größer.

Im Innern der ursprünglich im Jahr 752 fertig gestellten Halle befindet sich der namensgebende Buddha, mit einem Gewicht von über 500 Tonnen. Man geht davon aus, dass insgesamt mehr als 350.000 Menschen an der Erschaffung dieser beeindruckenden Figur beteiligt waren. Das Gebäude selbst und die Statue sind wegen Feuern und Erdbeben einige Male schwer beschädigt worden, worauf die Halle neu aufgebaut und die Statue repariert worden ist.

Neben der eigentlichen Statue befinden sich im Innern der Halle auch noch zahlreiche weitere Artefakte, welche von der langen und bedeutsamen Geschichte des Todaiji-Tempels berichten. Auch können hier zum Gebet Kerzen für eine kleine Spende angezündet werden. Hierbei sei allerdings bedacht, dass man eine neue Kerze nicht an einer bereits brennenden anzünden sollte.

Auf zu den Shika, den Hirschen von Nara

Nachdem wir das Tempelgelände ausgiebig erkundet hatten, ging es weiter durch den Nara Park zum eigentlichen Höhepunkt für die meisten Besucher von Nara. Wir hatten sie zuvor bereits vereinzelt gesehen, doch nun waren sie überall: die zahmen Hirsche des Nara Parks. Sie spazierten inmitten der Besucher über die Gehwege, entspannten auf den Wiesen oder standen auf dem Mittelstreifen der Straße und schauten seelenruhig den Autos nach. Wenn man das zum ersten Mal sieht, kommt einem die komplette Szenerie total surreal vor. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass uns ein Hirsch so nahe gekommen ist. Das letzte Mal war in Hakone auf einer Lichtung, aber das war etwas ganz Anderes.

Um das Erlebnis noch zu verbessern, konnte man überall Cracker für die Tiere kaufen. Es ist dabei auch dringend zu erwähnen, dass man nicht selbst etwas von Zuhause mitbringen und die Hirsche damit füttern sollte. Gerade in der Pandemie, als die Besucherzahlen zurückgingen, kam es leider dazu, dass einige Besucher in Sorge waren, die Tiere würden in Nara nicht genug zu essen bekommen und haben sie somit mit nicht geeignetem Futter, wie gezuckerten Nahrungsmittel versorgt. Diesbezüglich muss man sich keine Sorgen machen, denn die Einwohner Naras wissen sehr gut, wie man die Tiere versorgen muss und Zucker gehört auf jeden Fall nicht dazu.

Auch diesmal kaufte Eriko wieder die sogenannten Shika Senbei (鹿せんべい) und wir hatten unsere Freude damit. Naja, man muss allerdings schon aufpassen, dass die Tiere nicht zu aufdringlich oder hinterhältig werden. Aus dem Internet kennt man vielleicht die Bilder von Hirschen, welche sich vor einem höflich verbeugen, um etwas zu essen zu bekommen. Bei der Höflichkeit bleibt es aber auch nur, wenn man ihnen sofort etwas gibt. Entweder ihr Verbeugen wird immer intensiver und hastiger oder sie stupsen einen auch mal gerne an, um dem ganzen etwas Nachdruck zu verleihen.

Auch hier sei wieder eine wichtige Warnung ausgesprochen: Achtet bitte darauf, keine Plastiktüten in Reichweite der Tiere zu tragen. Es kommt nicht selten vor, dass die Hirsche versuchen, ein Teil des eigenen Gepäcks zu stibitzen und Plastik in den Mägen der Tiere kann schlimme Folgen haben. Die Zurückhaltung wird hier primär von den Besuchern verlangt, um für die Sicherheit aller zu sorgen.

Die Hirsche essen Senbei, wir gehen in ein Café

Im Nara Park gibt es überdies auch zahlreiche kleine Restaurants und Cafés, in denen man sich ein wenig ausruhen kann. Bei all dem Stress, der sich aufbaut, wenn man alle Hirsche füttern will, kann man auch mal ein wenig müde werden. Wir haben uns dann ein kleines Café im 2. Stock gesucht und so auch einen schönen Ausblick auf den Park gehabt. Dieses Mal haben wir allerdings das Essen bezahlt, um endlich auch mal ein wenig materielle Dankbarkeit gegenüber Eriko zeigen zu können.

Leider haben wir viel zu selten die Chance, gemeinsam einige Stunden zu verbringen und so nutzen wir die Zeit ausgiebig, bevor es wieder zurück zur Station und nach Osaka ging. Dort haben wir dann den Abend noch gemeinsam in einem Izakaya ausklingen lassen. Über unsere Eindrücke von Osaka werden wir gesammelt noch einmal einen anderen Artikel schreiben, wenn wir ein wenig mehr Zeit dort verbracht haben. Bisher haben wir nur gemeinsam mit Eriko den Izakaya besucht und sind einige Jahre vorher zur Dotonbori Straße und zu einem Konzert gegangen, als wir in Osaka waren.

Zum Abschluss sei abermals eine kleine witzige Sache erwähnt, welche Eriko so einmalig macht. Als wir sie fragten, was sie denn empfehlen könnte in Osaka, also für Besucher, griff sie geistesgegenwärtig nach einem kleinen Tourismus-Guide, der im Eingangsbereich unseres Hotels lag. Sie drückte ihn uns in die Hand und sagte: Ich habe keine Ahnung, aber hier drinnen findet ihr bestimmt was.

Nara – für uns mehr als nur Hirsche

Der Aufenthalt, den wir in Nara hatten, liegt nun schon einige Jahre zurück und wir vermissen nicht nur die unfassbar guten Mochi, sondern auch unsere Freundin Eriko. Sie hat den Aufenthalt zu etwas ganz Besonderem gemacht und wir hoffen, dass sie uns beim nächsten Mal ganz persönlich zeigen kann, was denn abgesehen von gutem Essen sonst so in Osaka los ist. Nach unserem Trip nach Nara ging es dann wie erwähnt für uns weiter zum Kumano Kodo worüber wir auch bereits einen Artikel verfasst haben.

Weitere Informationen

Japan meine Liebe foto von Susann Schuster

Ort: Nara
Präfektur: Nara
Webseite (EN)

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