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Leben in Japan

Traditionen in Japan, sie bewahren und sie weiterentwickeln

Japan gilt als Land, indem viele alte Traditionen noch bis heute bewahrt werden. Darum sieht sich Japan selbst auch als ein Land, in dem die Tradition auf die Moderne trifft. Traditionen bewahren ist wichtig, vor allem um die eigene Identität des Landes zu bewahren, aber auch um alte Künste nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Dennoch ist es auch wichtig, auf diese Traditionen mit ein wenig Abstand zu blicken. Wenn man selbst in Japan lebt, oder es regelmäßig im Urlaub besucht, sind die Dinge manchmal nicht so einfach, wie sie auf den ersten Blick scheinen und auch Traditionen sind schon immer dem Wandel der Zeit unterworfen gewesen.

Die blinde Liebe zu einem Land und seinen Gepflogenheiten

Wenn wir uns über japanische Eigenheiten und Traditionen unterhalten, kommt uns selten in den Sinn, dass an alten Traditionen auch etwas Negatives haften kann, oder dass etwas, was man als alte Tradition bezeichnet, eigentlich keine wirkliche uralte Tradition ist. Wenn man als weltoffener Mensch durch das Leben geht, kommt es einem manchmal recht seltsam vor, wenn einige Leute nur das Positive in Japan sehen wollen: es kann ja nicht angehen, dass es innerhalb der japanischen Gesellschaft etwas Schlechtes gibt!

Auf dieses Thema selbst möchte ich aber an einer anderen Stelle noch einmal zu sprechen kommen und mich hier heute auf 3 Punkte innerhalb Japans beziehen, mit denen der eine oder andere vielleicht schon einmal persönlich oder durch die Nachrichten in Verbindung gekommen ist.

Japan meine Liebe foto von Susann Schuster
Eine alte japanische Kunstform: Kabuki

Die Kunst des Noh und warum Stillstand Verschwinden bedeuten kann

Viele Menschen denken bei traditionellem japanischem Theater vor allem an das Kabuki Theater. Ursprünglich von weiblichen Tänzerinnen als kleinere Sketche aufgeführt, änderte sich die Form des Kabuki im Laufe der Zeit zum heute bekannten Erzähldrama, welches vollständig von Männern aufgeführt wird. Schon hier merken wir, dass Traditionen sich schon früher verändert haben.

Eine Kunstform, welche nicht weniger tief in der Tradition Japans verwurzelt ist, es aber immer schwerer hat, vor allem junge Menschen für sich zu begeistern, ist das Noh Theater. Das Kanji für Noh (能) entspricht der Bedeutung „Fertigkeit“, „Handwerk“ oder „Talent“, in diesem Zusammenhang besonders im Bereich der darstellenden Künste. Das Wort Noh kann allein oder mit Gaku (楽; Unterhaltung, Musik) verwendet werden, um das Wort Nōgaku zu bilden. Noh bezieht sich auf das historische Genre des Theaters, das Mitte des 14. Jahrhunderts aus der Kunstform Sarugaku hervorgegangen ist, welche Pantomime, Akrobatik und Magie verband.

Auch wenn das Noh heute zu den ältesten noch aufgeführten Kunstformen in Japan gehört, hat es in seiner Geschichte schon einige Wandlungen durchmachen müssen. Ursprünglich wurde es für die Unterhaltung des Shogun und der Feudalherren im alten Japan entwickelt. Da es jedoch wesentlich strenger auf die Regeln der Tradition gemünzt war als das beim Volk besonders geliebte Kabuki, geriet das Noh Theater mit dem Fall des Tokugawa Shogunats im Jahr 1868 in eine finanzielle Krise. Das resultierte am Ende der Meiji Restauration damit, dass das Noh Theater selbst sich dem Volk öffnete und Trainingsschulen für Noh Schauspieler eröffnet wurden.

Während in der Edo-Zeit Frauen innerhalb des Noh Theaters keine zentralen Rollen einnehmen konnten, bekamen sie während der Meiji Restauration das erste Mal die Chance, ebenso mitzuwirken. Obwohl das Noh in der damaligen Zeit die Krise überstanden hat, ist es heute immer schwerer für diese Kunstform, die Menschen zu erreichen. Die Stücke sind meist langsam und ruhig, und selbst für Menschen mit guten Japanisch-Kenntnissen ist es oftmals schwer, dem Handlungsfluss zu folgen. Aus diesem Grund gibt es im Vorfeld der Aufführung für die Zuschauer auch einen Zettel, welcher den Inhalt der Aufführung erklärt.

In der heutigen Zeit, in der Unterhaltung scheinbar immer leichter zu konsumieren sein muss und die Aufmerksamkeitsspanne vieler Menschen zurückgeht, hat es diese Form des Schauspiels besonders schwer. Zwar gibt es verschiedene Versuche, Besucher anzuziehen: Es gibt Brillen, welche Untertitel auf die Netzhaut projizieren, sowie Workshops, in denen man sich einkleiden lassen kann. Zudem versucht man mit moderner Technik wie Lichtprojektionen das Ganze etwas zu modernisieren und spannender zu gestalten.

Dennoch gibt es hierbei immer noch viele Probleme, die gerade interessierte Ausländer davon abhalten, ihr Noh Erlebnis mit der Welt zu teilen, z.B. ist es selbst auf „Promotion Events“ zumeist strengstens untersagt, Fotos zu machen und während der US Amerikaner Richard Emmert versucht, in Japan diese Kunstform für Nicht-Japaner interessant zu präsentieren, ist auch er immer wieder dem strengen Druck der Regeln unterlegen.

Wenn die Menschen in Japan in Zukunft diese Kunstform weiterhin ohne große Einschränkungen erleben möchten, ist es auch hier wichtig, die Barriere für den Einstieg ein wenig zu senken. Sei es mit den oben genannten Workshops, mehr Freiheiten für die Gäste während der Darstellung oder mehr Anpassungen an moderne Spielformen, um eine breitere Masse zu erreichen. Die originale Kunstform muss darunter nicht leiden, denn es kommt nicht selten vor, dass Menschen erst durch ein leichter zugängliches Produkt das Interesse für seine Ursprünge entwickeln.

Japan meine Liebe foto von Susann Schuster
Frauen haben es nicht leicht in Japan

Das Frauenbild in Japan

Kaum eine moderne Gesellschaft hat ein so antiquiertes Frauenbild wie Japan: Ein Kollege erzählte mir vor kurzer Zeit, dass die Frauen früher immer Zuhause bleiben mussten, weil ja der Futon zum Lüften aufgehängt werden musste. Japan scheint in vielen Punkten immer noch genau dort zu stehen. Vor einigen Tagen wurde erst eine Klage abgelehnt, in der es darum ging, dass Ehepaare immer den gleichen Namen tragen müssen. Hier wählt die große Mehrheit dann immer den Namen des Mannes. Auch ein Doppelname ist in Japan nicht möglich. Ein Gesetz beschloss 1896, dass Paare ihre Heirat nur legal registrieren können, wenn sie einen gemeinsamen Nachnamen wählen. Und wenn man diese alten Regeln verliert, dann könnte ja die gesamte Gesellschaft einstürzen!

Immer wieder liest man Schlagzeilen von alten Männern, die Frauen unterstellen, viel zu viel in Meetings zu reden, so wie vor kurzem vom Ex-Premierminister Yoshiro Mori befeuert. Sowieso sieht man im derzeitigen Regierungskabinett doch primär die japanischen Männer. Auch war vor kurzem in den Schlagzeilen, dass Schülerinnen in Tokyo in einigen Schulen bessere Noten erarbeiten müssen, um ihre Abschlüsse zu erhalten. So kommen selbst schlechtere männliche Schüler besser weg, obwohl sie eine geringere Leistung erbracht haben. Da fällt einem nicht mehr viel ein, um ehrlich zu sein. Eine medizinische Uni leistete sich ebenso einen haarsträubenden Vorfall, indem einfach weibliche Anwerberinnen nicht genommen wurden, obwohl diese besser abschnitten. Hier wurden eindeutig Männer bevorzugt. Gleichberechtigung, wo bist du?

2013 wurden von Abe die „Womenomics“ groß angepriesen: eine Politik, die dazu beitragen sollte, dass Frauen in Japan „endlich scheinen können“. Hier ging es aber auch eher darum, den Arbeitskräftemangel in der überalterten japanischen Gesellschaft zu minimieren. Gebracht hat auch das nicht viel. Das Gehaltgefälle zwischen Männern und Frauen ist immer noch sehr groß und meistens bleiben die Frauen Zuhause bei den Kindern und die Männer gehen arbeiten. Frauen sollen irgendwie nur dann bestimmte Jobs übernehmen, wenn es eben einen Arbeitskräftemangel gibt. Hier kann man auch sehr gut die Parallelen zum Noh Theater ziehen, dass sich erst weiblichen Darstellerinnen öffnete, als es brenzlich wurde.

Die Duldungskultur Japans (man nimmt Sachen hin, auch wenn sie ungerecht oder unangenehm sind) und die Erziehung der Mädchen, dass sie eben nicht so viel können wie Männer, tut ihr Übriges. Da wird gerne mal in der Werbung explizit darauf hingewiesen, dass „sogar Frauen“ eine Gardinenstange anbringen können. Wenn einem immer eingeredet wird, dass man etwas nicht kann, versucht man es vielleicht irgendwann gar nicht mehr, weil man davon ausgeht, dass die Anderen schon Recht haben. Tradition hin oder her: es muss sich einiges ändern, denn wenn es um das Gender Gap geht, ist Japan im Jahr 2021 immer noch auf Platz 120 von 156. Diese antiquierten traditionellen Rollenbilder scheinen nur sehr schwer abzulegen zu sein.

Japan meine Liebe foto von Susann Schuster
Sumo, der traditionelle japanische Ringkampf

Sumo und wenn es gefährlich wird

Wenn man zu sehr an traditionellen Gepflogenheiten festhält, bleibt es nicht immer nur bei Problemen, die sich emotional auf Menschen auswirken können. Dabei kann es, wie die jüngere Geschichte zeigt, auch körperlich sehr gefährlich werden. Sumo-Ringen wurde in alten Zeiten als Unterhaltung für die Shinto-Götter durchgeführt und tatsächlich bewahrt Sumo auch heute noch viele der traditionellen Rituale, die mit diesem religiösen Hintergrund verbunden sind.

Der heilige Ring für den Wettkampf wird Dohyō genannt und es gilt bis heute die Regel, dass Frauen diesen nicht betreten dürfen. Nun kann man natürlich sagen, dass Sumo ein Sport ist, der vor allem von Männern ausgeübt wird und ich möchte nun nicht darauf eingehen, ob es überhaupt eine erwähnenswerte Zahl gibt an Frauen, die selber in den Ring steigen möchten.

Dennoch kam es im April 2018 zu einem tragischen Vorfall. Während eines Events brach der Bürgermeister von Maizuru Ryozo Tatami im Ring zusammen und eine anwesende Frau sprang auf, um das einzig Richtige zu tun: erste Hilfe leisten. Jeder weiß, dass in einem solchen Fall das Allerwichtigste ist, schnell zu reagieren und jede verschwendete Sekunde kann lang anhaltende Schäden oder gar den Tod bedeuten. Dennoch, und das war das erschreckende, wurde die Frau des Ringes verwiesen unter der Prämisse, dass Frauen den heiligen Ring nicht betreten dürfen.

Das erinnert mich unter anderem an die deutschen U-Boote aus dem zweiten Weltkrieg. Auch hier wurde gesagt, dass wenn eine Frau das Boot betritt, sie Unglück mitbringen würde. Ich denke, wir leben in Zeiten, in denen wir von solch seltsamem Aberglauben endlich absehen sollten. Überhaupt sollte man sich die Frage stellen, wer denn heute noch auf die Idee kommt, ehrlich zu sagen, dass eine Frau einen gewissen Bereich einzig durch ihre Anwesenheit verunreinigt.

Das bei einem so tief in der Gesellschaft verankerten Event wie einem Sumo Turnier kein medizinisches Fachpersonal vor Ort ist, um schnell zu reagieren, hat sich in der Vergangenheit schon mehrfach gezeigt und ist noch mal ein ganz anderes Thema, auf das man eingehen sollte, um die Athleten, Mitarbeiter und Zuschauer zu schützen.

Durch den Mangel an Fachpersonal kam es auch vor Kurzem erst zu einem weiteren tragischen Zwischenfall. Der Ringer Hibikiryu starb im Alter von 28 da er bei einem Kampf auf den Kopf stürzte und daraufhin nur dilettantische Versorgung vor Ort erhielt. Natürlich hat dies nicht direkt etwas mit der Tradition des Sports zu tun. Dennoch zeigt es auch hier einmal mehr, dass es wichtig ist auch Events mit einer so langen Geschichte und Bedeutung bezüglich ihrer Art und Weise der Veranstaltung zu überdenken.

Die Gefahr für die Gesundheit des eigenen Körpers

Ein anderer Aspekt, welcher natürlich ein wenig schwerer zu behandeln ist, ist der Körper der Athleten. In der Regel beginnen die Performer schon in jungen Jahren mit dem Training und fangen damit an, Körpermasse aufzubauen. Dabei sind sie oftmals weit unter der Volljährigkeit und in einem Alter, wo man ihnen in anderen Bereichen in der Regel nicht die volle Eigenverantwortung zusprechen will und kann. Solange ein Sumoringer sein intensives Training durchführt, ist es mit der Gesundheit in der Regel auch nicht das Problem. Doch kommt es irgendwann freiwillig oder auch unfreiwillig dazu, dass der Athlet den Sport nicht mehr weiter ausüben kann. Dann folgen relativ schnell die bekannten gesundheitlichen Probleme, die diese Form von Übergewicht mitbringen kann.

Es geht hier auch nicht darum zu sagen, dass korpulentere Menschen es schlechter haben als schlanke. Es geht darum, dass hier ein bewusstes Risiko eingegangen wird, welches Kinder in der Regel nicht abschätzen können und man ihnen diese Entscheidung auf dem einen oder anderen Weg abnimmt.

Natürlich ist jedem bewusst, dass jeder Sport seine Risiken mitbringt. Sei es beim Fußball einen Ball mit voller Kraft gegen den Kopf geschossen zu bekommen, regelmäßige Zusammenstöße beim American Football, Stürze in der Leichtathletik, oder bei Kampfsportarten und Pro Wrestling. Dennoch müssen wir hier, wie auch bei allen anderen Themen, gedanklich vielleicht einmal von den persönlichen Vorlieben absehen und das große Ganze betrachten.

Es ist wichtig, dass wir an unsere Mitmenschen denken

Bei Traditionen ist es wie beinahe allem anderen, was uns umgibt. Zwar ist es wichtig, die Vergangenheit nicht aus den Augen zu lassen, doch ist es vor allem wichtig, im Hier und Jetzt zu leben.

Auch wird doch so ziemlich jeder zustimmen, wenn man sagt, wir müssen aus Fehlern oder eventuellen Problemen der Vergangenheit lernen. Auch wenn uns nicht jedes Thema direkt betrifft, oder wir Angst haben, dass eine Tradition verwässert wird, müssen wir daran denken, dass dies schon immer der Fall war und Stillstand in keiner Zeit unserer Geschichte etwas Gutes gebracht hat. Es ist wichtig, dass wir nach vorne schauen, dass wir bewahren, was wir haben und gleichzeitig versuchen, alle Menschen daran teilhaben zu lassen, egal ob Mann oder Frau.

Auch ist es notwendig die Entwicklung zu beobachten, in der sich unsere Gesellschaft befindet, denn so traurig es klingen mag, nicht alles kann in voller Blüte für immer bestehen. Dennoch glaube ich, dass wenn wir uns ein wenig aus der eigenen Komfortzone herauswagen, wir einen guten Weg finden Traditionen auch für die Zukunft zu bewahren und sie gleichzeitig für zukünftiger Generationen leichter zugänglich zu machen.

Eine weitere Tradition, welche wir ganz unvoreingenommen und ungefährlich genießen können, ist das Hanami.

Von Sebastian, 25. Juni 2021
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Die positiven wie auch die schwierigen Seiten der neuen Heimat lernt man erst nach einer ganzen Weile wirklich kennen. Seit 2018 leben wir nun in Japan und möchten dieses aufregende und doch nicht immer unbeschwerte Erlebnis mit euch teilen. Hier veröffentlichen wir Reiseberichte und mehr über unser tägliches Leben in Japan.
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